Eine meiner liebsten erhaltenen Quellen ist das Buch “Fancy Dresses Described; Or What to Wear at Fancy Balls” aus dem Jahr 1887. In diesem alphabetisch sortiertem Ratgeber sammelte der britische Mode- und Gesellschaftsjournalist Ardern Holt hunderte der beliebtesten Kostüme seiner Epoche, erklärte den historischen oder mythologischen Kontext und gab Tipps zur Herstellung. Das Buch, das zum ersten Mal 1879 erschien, erfreute sich so großer Beliebtheit, dass es mehrmals neu aufgelegt wurde. “Fancy Dresses Described” beinhaltet so grandiose Kostümideen wie das Postamt, das Aquarium, die Schreibtischlampe und meinen persönlichen Favoriten, den Papierkorb, konzentriert sich aber vor allem auf historische Persönlichkeiten, Figuren aus zeitgenössischen Bestsellern und Held*innen aus der antiken Mythologie.
Kostümbälle waren im 19. und frühen 20. Jahrhundert im gesamten Jahr ein beliebter Freizeitspaß, nicht zwingend zu Halloween, doch in “Fancy Dresses Described” findet sich auch das ein oder andere schaurige Kostüm für diejenigen, denen nicht der Sinn nach einer drolligen Verkleidung als Brieftaube oder als eleganter Rosengarten oder Sommerabend stand. Das schaurige, makabre ist schließlich besonders im späteren Verlauf der Belle Époque ein Trendthema, sodass eine gruselige Verkleidung auf jedem Kostümball ein echter Hingucker gewesen wäre. Wie immer gilt: Kreative, aufwendig hergestellte Kostüme waren auch ein Statussymbol und jede*r wollte die am besten kostümierte Person auf dem Ball sein. Hier sind also die schaurigsten Kostümideen aus “Fancy Dresses Described”.
Die “Nacht”: Ein schillernder Klassiker

Die “Nacht” und verwandte Kostüme, wie der “Mond”, das “Mondlicht” und die “Mitternacht” gehören zu den am ausführlichsten beschriebenen Kostümen in “Fancy Dresses Described”. Ebenfalls von ihrer Beliebtheit zeugen die zahlreichen Fotografien von umgesetzten “Nacht”-Kostümen aus den letzten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts. Verwunderlich ist das nicht: Die “Nacht” ist ein wenig düster, aber vor allem elegant, pompös und schillernd. Die “Nacht” ist zudem ein gutes Beispiel für die Beliebtheit von Hingucker-Accessoires wie Fledermäusen oder Capes in der Form von Fledermausflügeln, die, wie im Verlauf dieses Artikels noch anschaulich werden wird, nicht nur “Nacht”-Kostüme zieren. Das “Basis”-Kostüm, wenn man so möchte, beschreibt Ardern Holt wie folgt:
Ein langes, modisch geschnittenes Abendkleid aus schwarzem Tüll, überstreut mit silbernen Sternen und Mondsicheln […], eine Mondsichel auf dem Kopf und ein mit Mondsicheln bestickter Schleier, ein silberner Stab mit Mondsichel darauf, […], schwarze Handschuhe, schwarze Schuhe mit Mondsicheln […].
Ergänzend zur Nacht schlägt “Fancy Dresses Described” auch im wahrsten Sinne etwas weniger dunkle Kostüme vor, zum Beispiel die “Dämmerung”: “Könnte in vier Schattierungen von grauem Tüll, gesprenkelt von silbernen Sternen, hergestellt werden, oder in dunkelblau, die Tunika wird auf einer Seite mit einem silbernen Mond aufgesteckt; Ein rosa und grauer Schal, an der Schulter mit Mondsicheln befestigt, am Rock mit einer silbernen Fledermaus […]. Das Mieder […] ist aus zwei Schattierungen aus Satin oder Plüsch, mit Sternen und Tautropfen […]” Das Highlight bildet ein Schleier, der ebenfalls den gewünschten düster-eleganten Charakter dieser “Nacht”-Kostüme unterstreicht: “Ein blassrosa Schleier aus Tüll, mit Motten und anderen Insekten, die ein Diadem formen.”
Insekten: Schillernd bis skurril

In einer anderen Version der “Dämmerung” spielen Insekten eine noch größere Rolle, denn dieses Kostüm verlangt nach: “[…] schwarzes Kleid aus Netzstoff und silberner Gaze, mit Käfern, Grashüpfern und anderen Insekten überstreut; Kopfschmuck aus silberner Gaze mit demselben, und silberne Mondsicheln; Fächer mit Käferflügeln, silberne Ornamente.” Aufgestickte Käferflügel, besonders grün schillernde, sind tatsächlich ein echter Trend des 19. Jahrhunderts, der im Indien des späten 18. Jahrhunderts entstanden ist. Ein dekadenter Höhepunkt ist Ellen Terrys Lady-Macbeth-Kostüm für die 1888er Aufführung von “Macbeth” in London, das über und über mit grünen Käferflügeln besetzt ist. Während dieses Theaterkostüm wiederum einen Trend auslöste, waren Insekten in der herkömmlichen Mode und im Ballkostüm längst etabliert.
Es mussten jedoch längst nicht immer echte Insekten sein, wie das Kostüm der “Königin der Käfer” zeigt: “Kurzer schwarzer Rock mit roten und gelben horizontalen Streifen; dieselbe Kombination wird im schwarzen Mieder fortgesetzt; eine schwarze spitze Kappe, alles mit sich bewegenden Spielzeugkäfern besetzt. Ein Zepter in der Hand, auf dem ein Käfer sitzt.” Passend dazu bietet “Fancy Dresses Described” auch die “Fliege” an: “Schwarzes Tüllkleid, verschleiert mit dunkelblauer Gaze; Flügel aus demselben Stoff; tief geschnittenes Mieder; eine Kappe, die den Kopf einer Fliege darstellt.” Das Fliegenkostüm wird auch für kleine Kinder empfohlen: Ein goldgelbes Satinkleid wird mit kleinen Fliegen aus Gaze besetzt, dazu wird ein Toque aus schwarzem Samt getragen.
Wie beliebt Insektenkostüme tatsächlich waren, lässt sich schwer sagen, denn abseits von Schmetterling und Libelle lassen sich kaum Modezeichnungen oder gar Fotos von Insektenkostümen finden. Auf der anderen Seite bedeutet die Inklusion in “Fancy Dresses Described” zumindest, dass Fliegen- und Käferkostüme Optionen waren, die auf einem Kostümball akzeptabel gewesen wären. Darunter befindet sich zum krönenden Abschluss jedoch auch das “Insectifuga”-Kostüm. Wer also den Ballabend als Insektenschutzmittel verbringen möchte, trägt folgendes: “Dies kann durch jede Art von Insekt dargestellt werden, verteilt über ein modisches schwarzes oder weißes Abendkleid aus Tüll.” Dann doch lieber der “Kartoffelkäfer” im “Kleid aus grünem Tüll, verziert mit irisierenden Perlen, […] Käfer sind auf dem Kopfschmuck, auf den Schultern und zum Rock aufstecken angebracht.”
Die “Diablotine”: Teuflisch bis dämonisch

Geht man nach überlieferten Abbildungen, ist auch die “kleine Teufelin” ein beliebtes Kostüm des späteren 19. Jahrhunderts, erklärbar vielleicht durch die Kombination des im Trend liegenden Düsterromantischen und dem “risqué”, aber noch salonfähigem Charakter des Kostüms. Teufels- und Dämonenfiguren waren zudem in vielen Opern und Operetten der Epoche beliebte Chorfiguren, die hier sicherlich auch imitiert wurden. “Fancy Dresses Described” beschreibt die “Diablotine” wie folgt: “Kurzer, roter Satinrock mit Goldborte, pointiertes schwarzes Mieder mit Zickzackausschnitt, in Gelb eingefasst, mit rotem Satinstehkragen, der an einem kurzen gelben Satinumhang mit scharlachroten Paspeln befestigt ist, das an Fledermausflügel erinnert.” Weitere Varianten dieses Kostüms schlagen Drahtblitze, samtene Aufnäher in der Form von Dreizacken und natürlich einen Kopfschmuck, der Hörner darstellt, vor.
“Rotes Kleid, mit roter Kappe und Flügeln; trägt einen gehörnten Dreizack. Oder: Blassgrauer Rock mit aufgenähten Verzierungen von Tieren aus rotem Samt, schwarzer Schal mit goldenen Pailletten; graues Mieder, auf das vorn schwarze Samt-Fledermäuse aufgenäht sind; roter Samthut mit goldener Aigrette und roter Feder.”
Dieses Kostüm, die “Diablesse” (“Teufelin”), wird separat von der “Diablotine” (“kleine Teufelin”) aufgeführt und scheint eine etwas eindeutigere Interpretation des Teufelsmotivs zu sein. “Fancy Dresses Described” empfiehlt das Kostüm auch explizit für Kinder: “Für ein Kind ein gewöhnliches rotes und weißes Kleid, mit schwarzen Handschuhen, Schärpe und Strümpfen, und goldenen Hörnern als Kopfschmuck; gegabelter Stab; Stiefel mit hohen Absätzen.”
Die “Hexe”: Historische Mode und Fantasy

Die Hexe ist ein weiteres Kostüm, das nicht nur in Kostümratgebern wie “Fancy Dresses Described” auftaucht, sondern seine tatsächliche Beliebtheit durch so einige fotografisch festgehaltene Umsetzungen beweist. Jessie Sloanes Hexenkostüm, das für den berühmten Vanderbilt-Kostümball in New York 1883 angefertigt wurde, ist eins der Beispiele, die sich tatsächlich direkt auf “Fancy Dresses Described” zurückführen lassen. Die Illustration des Hexenkostüms war bereits in vorherigen Auflagen des Ratgebers erschienen und muss Sloane vorgelegen haben. Beschrieben wird die Hexe in meiner Ausgabe von 1887 jedoch etwas anders als die Illustration aus den älteren Ausgaben vermuten lässt, einige Bestandteile sind jedoch gleichgeblieben:
Kurzer, gesteppter Rock aus rotem Satin, mit Katzen und Echsen aus schwarzem Samt; Tunika mit Paniers aus goldenem Satin; Schnürmieder aus schwarzem Samt über altgoldenem Kreppmieder; kleine Katze auf der rechten Schulter; ein Besen mit Eule in der Hand; hohe, spitze Samtkappe; Schuhe mit Schnallen.
Der historische Charakter des Hexenkostüms, das Anleihen aus der Mode des 17. Jahrhunderts beinhaltet, findet sich auch in anderen Kostümratgebern der Epoche. Ebenfalls historisch inspiriert, eindeutig durch puritanische Mode der 1600er, kommt die eigens aufgeführte “weiße Hexe” daher: “[…] Weißer Satin und Gaze, mit weißem Samtmieder; weißer Rüschenstecker aus silbernem Stoff, und Capotain, getragen auf gepudertem Haar, mit elektrischem Stern in der Stirn; silberner Besenstiel und Kessel.” Etwas mystischere Hexenkostüme, allermeist inspiriert durch Shakespeares Hexenfiguren, sind jedoch ebenfalls beliebt, zum Beispiel die Hexen aus “Macbeth”: “Kurzer Rock mit aufgenähten Fröschen und Kröten aus schwarzem Samt auf gestepptem Satinrock, Tuniken aus Chintz; vor der Brust geschnürte Mieder aus schwarzem Samt; Rüschen am Ellbogen, Katzen und Eulen auf der Schulter, […] hohe schwarze Samthüte, mit Schlangen umwickelt.”
Lichtkostüme: Irrlichter und Kometen

Wer an dem “elektrischen Stern in der Stirn” hängengeblieben ist, soll natürlich nicht ratlos zurückgelassen werden. Hierbei handelt es sich tatsächlich um leuchtenden Schmuck, der dem “Trend” des elektrischen Lichts, das in den 1880er Jahren langsam aufkommt, Gebühr zollt. Die Batterie für den Leuchtstern wird in den Haaren oder der Kleidung versteckt. Eines der ersten und eindrucksvollsten Kostüme dieser Art ist Alice Vanderbilts Verkleidung als “elektrisches Licht” für den Vanderbilt-Kostümball in New York 1883. Das Kleid, entworfen vom renommierten Modehaus Worth in Paris und hergestellt aus gold- und silberbesticktem Satin, ist bis heute erhalten und wird im Museum of the City of New York aufbewahrt. Im Verlauf der 1880er und 1890er werden kleine elektrische Lichtakzente in Kostümen immer beliebter.
Ein schauriges Kostüm dieser Art ist das “Irrlicht”: "Offenes Haar fällt über modisch geschnittenes, schwarzes Abendkleid; eine kleine Laterne wird in der Hand gehalten; Stern mit elektrischem Licht in der Mitte der Stirn.” Verwandt mit dem “Nacht”-Kostüm ist der “Komet”: “Langer blauer Satinrock mit Sternenborte; gelber Satinschurz mit Sternen verziert; […], der vordere Teil des Rocks ist aus der hellsten Schattierung von Gold, verziert mit goldenen Fransen; das Haar ist offen; Sternenornamente; Stern mit elektrischem Licht im Haar; Gold und Rot ist eine gute Kombination.” Da besonders zu Beginn des Trends in den 1880er Jahren elektrischer Schmuck durchaus kostspielig war, bleibt offen, wie häufig diese Kostümideen tatsächlich umgesetzt wurden, einen leuchtenden Stern oder Mond im Haar zu tragen, war jedoch auf alle Fälle möglich.
Herrenkostüme: “Gentlemen’s Fancy Dress” (1883)

Leider beschränkt sich “Fancy Dresses Described” auf Damenkostüme, die auch auf den Kostümbällen des 19. Jahrhunderts das Hauptaugenmerk waren. Dabei wollte ich es jedoch nicht belassen und bin bei der Recherche auf ein weiteres Werk von Ardern Holt gestoßen: “Gentlemen’s Fancy Dress; How to Choose it” von 1883. Herrenkostüme der Epoche sind noch deutlich öfter von historischen Moden und Persönlichkeiten inspiriert, oder von Berufsgruppen vom Soldaten bis zum Buchbinder, mit dem ein oder anderen “novelty”-Kostüm dazwischen, das sich auch in “Fancy Dresses Described” schon hat finden lassen, wie dem “Aquarium”, der “Sektflasche”, und meinem sofortigen Favoriten, dem “transatlantischen Telegrafenkabel”. Doch natürlich lässt sich auch hier das ein oder andere schaurige Kostüm finden.
Der “Diable” als Gegenstück zur “Diablotine” darf natürlich nicht fehlen, hier laut Holt inspiriert von “Mephisto” (sehr wahrscheinlich sind die zeitgenössischen Umsetzungen der Figur in Theaterkostümen gemeint): “Seidenstrumpfhosen; volle, kurze Hosen um die Hüften; enges Habit; kurzer Umhang, an den Schultern befestigt; eine Kappe mit zwei abstehenden Federn wie Hörner. Dies ist für gewöhnlich komplett aus rotem Samt hergestellt, oder aus scharlachrotem Satin und schwarzem Samt.” Ein ähnliches Kostüm wird zudem, wie bereits bei der “Diablotine”, für kleine Kinder empfohlen. Extra aufgeführt wird “Lucifer (Morgenstern)”: “Enges Wams aus Samt und Pumphosen; schwarze Seidenstrümpfe; schwarze Samtschuhe mit spitzer Schuhspitze; große schwarze Tarlatan-Flügel auf Rahmen gespannt; und ein silberner Stern in der Stirn.”
Sehr eigen und sicherlich für eine Gruselparty geeignet ist auch der “Scharfrichter”: “Strumpfhosen, Pumphosen und Justaucorps, alles in schwarz; schwarze Maske und Kappe; eine Axt in der Hand, und Äxte auf das enge Habit und die Kappe gestickt.” Während “Fancy Dresses Described” im Vorwort “Hexe und Zauberer” als gelungenes Paarkostüm beschreibt, habe ich den “Zauberer” in diesem Buch vergeblich gesucht, doch enthalten ist zumindest der “Merlin”, der sich entsprechend als Zauberer auslegen lässt: “Volle, wallende Roben aus weicher Seide oder Wolle mit Goldborte; langer Bart; seidene Kappe mit Goldborte”. Alles in allem ist selbst in den wenigen “gruseligen” Kostümideen für Herren immer ein historischer Charakter zu erkennen, wenn es sich nicht um eindeutig fantastische Kostüme wie den “Merlin” handelt. Das 17. und 18. Jahrhundert sind am beliebtesten.
Ausblick: Was kann “Fancy Dresses Described” noch?
Wer sich auch abseits von Halloween für Kostümideen aus den 1880ern interessiert, kann natürlich selbst einen Blick in die Ratgeber von Ardern Holt oder zahlreiche weitere Kostümratgeber der gleichen Art aus der Epoche werfen. Doch auch “Dressed by the Past” wird sich mit den Kostümbällen des späten 19. Jahrhunderts und “Fancy Dresses Drescribed” noch öfter beschäftigen. Die skurrilsten Kostümideen werde ich mir nächstes Jahr in der Faschingszeit mal genauer anschauen, aber auch die ernstere Seite des Themas möchte ich nicht unerwähnt lassen, denn der imperialistische und oft rassistische Unterton einiger Kostüme besonders in britischen Kostümratgebern des späten 19. Jahrhunderts ist nicht zu leugnen und gibt tiefe Einblicke in Konzepte wie Orientalismus und kolonialistische Ausbeutung, die in dieser Zeit auch in der Mode - und beim Verkleiden - eine große Rolle spielen.
Ihr werdet “Fancy Dresses Described” und sicherlich auch “Gentlemen’s Fancy Dress” also in Zukunft noch wiedersehen. Für heute wollen wir es aber bei den schaurigen Seiten der Kostümfeste des 19. Jahrhunderts belassen. Happy Halloween.
Ich hoffe, dieser Einblick in einen der beliebtesten Kostümratgeber aus dem späten 19. Jahrhundert hat dir gefallen. In diesem Text stecken viel Zeit, Mühe und vor allem Recherche. Falls er dir bei deinen eigenen Recherchen weitergeholfen hat, würde mir eine Nennung als Quelle sehr weiterhelfen.
Quellen:
Angus, Jennifer: Nature’s Sequins. Cooper-Hewitt Smithsonian Design Museum, 2018.
Holt, Ardern: Fancy Dresses Described; Or What to Wear at Fancy Balls. 1887.
Holt, Ardern: Gentlemen's Fancy Dress; How to Choose it. 1883.