
Plaid-Muster sind heute allgegenwärtig. Besonders im Herbst, wenn es langsam kälter wird, zieren sie Mäntel und Schals, Hosen und Röcke. Beinahe jede*r von uns besitzt ein Kleidungsstück mit Plaid- oder Tartankaros. Zwar ist nicht jeder Plaid ein Tartan, doch heute werden die beiden Begriffe meist synonym verwendet, wenn das berühmte “Schottenkaro” gemeint ist. Tatsächlich wird der Tartan allgemein mit Schottland in Verbindung gebracht. Und während das auch keinesfalls falsch ist, ist die Geschichte des Tartan deutlich älter und bewegter, als man annehmen mag. Denn der Tartan vereint viele Aspekte der Kleidergeschichte in sich: Mode, natürlich, aber vor allem Tradition und Folklore, politische Symbolkraft und mehr.
Doch was genau ist Tartan? Beim Tartan handelt es sich um einen karierten Webstoff, meist aus Wolle, bei dem verschiedenfarbige Fäden zu horizontal, vertikal und über Kreuz laufenden Bändern verwebt werden, aus denen die bunten Karos entstehen. Schon aus dem zweiten Jahrtausend v.Chr. sind Stoffreste erhalten, die als “Proto-Tartan” interpretiert werden. Sie stammen vorwiegend aus den keltisch besiedelten Gebieten im Zentraleuropa der frühen Eisenzeit, doch auch im nordwestlichen China wurden Mumien entdeckt, die Tartanstoffe tragen. Die Webtechnik, die für Tartan verwendet wird, ist also mehrere Jahrtausende alt, und hat sich wahrscheinlich bereits in der Vor- und Frühgeschichte durch Handelsbeziehungen weit verbreitet.
Der Falkirk Tartan ist der älteste erhaltene Tartan, der in Schottland gefunden wurde. Er wird auf das Jahr 250 n.Chr. datiert und mit den Pikten in Verbindung gebracht, die auf dem Gebiet des heutigen Schottlands lebten. Der braun- und blaukarierte Tartan wird heute im National Museum of Scotland aufbewahrt. Wahrscheinlich wurde Tartan in Mitteleuropa bereits seit der späten Bronzezeit kontinuierlich hergestellt: Erhaltene Tartanreste aus dem Mittelalter sind rar gesät, doch der kontinuierliche Fortbestand lässt sich anhand der wenigen Quellen rekonstruieren. Als der Begriff “Tartan” um das Jahr 1530 zum ersten Mal in einer schottischen Quelle auftaucht, ist die Webtechnik selbst, der er einen neuen Namen gibt, also bereits einige Jahrtausende alt.
1500 - 1700: Tartan als “folk dress” im schottischen Hochland

Im Verlauf des 16. Jahrhunderts wurde der Tartan als Kleidung der Menschen in den schottischen Highlands durch kontinentale Reiseberichte über die britischen Inseln hinaus bekannt. Er wurde von allen Menschen im Hochland getragen, völlig losgelöst von sozialem Stand oder Zugehörigkeit zu einem Clan. Auch die “Clan Tartans”, die Mitglieder eines Clans als solche ausweisen, waren noch nicht bekannt. Es gab zwar regionale Unterschiede in Webtechnik und Farbe des Tartans, doch diese sind auf die lokal zugänglichen Ressourcen und Färbemittel zurückzuführen. In der Frühen Neuzeit wurden Tartanstoffe in sogenannter Heimindustrie hergestellt. Das bedeutet, dass sie meist im Familien- oder Gemeinschaftsverband für den Eigengebrauch innerhalb der Gemeinschaft gefertigt wurden.
Für gewöhnlich trugen Männer den Belted Plaid, den Vorgänger des modernen Kilts. Dabei handelt es sich um ein langes Stück Tartan, das wie ein Mantel um den Körper gewickelt und mit einem Gürtel um die Taille fixiert wird. Das Gewand ist ungefähr knielang. Das Ende wird meist über die Schulter drapiert und mit einer Fibel oder einer Brosche festgesteckt. Frauen hingegen tragen ihren Plaid als Arisaid ohne Gürtel in Form eines Umhangs oder Schleier über der Alltagskleidung, die sich an englischer “Mainstream”-Mode orientierte. Ein erhaltener Arisaid aus dem 18. Jahrhundert wird in den National Museums Scotland aufbewahrt. Während diese Kleidung vor allem mit der ländlichen Bevölkerung verbunden wurde, besaß auch König James V. von Schottland Mäntel und Strümpfe aus Tartanstoff.
Im Verlauf des 17. Jahrhunderts nahm englische und kontinental europäische Mode auch im schottischen Hochland vor allem unter den wohlhabenden Menschen einen immer höheren Stellenwert ein, während der “Highland Dress” aus Tartanstoff in der rural lebenden Bevölkerung Alltagskleidung blieb. Neben dem Belted Plaid wurden auch Hosen und Wämser nach “Mainstream”-Vorbild aus Tartan getragen. Ganze Kleider oder Röcke aus Tartanstoff waren in dieser Zeit jedoch verhältnismäßig selten. In der Damenkleidung beschränkte sich der Gebrauch von Tartan noch größtenteils auf den Arisaid oder den Tonnag - Ein kürzeres Schultertuch, das meist am Hals mit einer Brosche oder Fibel zusammengehalten wird. Beides wurde über der Alltagskleidung getragen, nicht stattdessen, wie der Belted Plaid.
1700 - 1800: Tartan als politisches Symbol

Zu Beginn des 18. Jahrhunderts erhielten Tartan und Highland Dress jedoch eine neue, politisch aufgeladene Bedeutung. Um 1700 schwelte es zwischen England und Schottland bereits seit einigen Jahrzehnten. Der schottische, katholische König aus dem Hause Stuart wurde 1688 ins Exil getrieben und vom protestantischen König William III. abgelöst. Damit endete die fast 80-jährige Stuart-Monarchie in Schottland und England. 1707 wurden die beiden Königreiche zum Vereinigten Königreich zusammengeführt und Schottland fortan von Westminster aus regiert. Aus Protest gegen diese Vereinigung adaptierten auch in den schottischen Lowlands entlang der englischen Grenze viele Menschen Highland Dress als patriotisches, politisches Symbol für ein unabhängiges Schottland und gegen die britische Krone.
Tartan und Highland Dress wurden zudem bald zum politischen Symbol für die Ideale der Jakobiter. Diese strebten die Restauration der Stuart-Monarchie an. Da vor allem die schottischen Highland-Clans diese Ideale teilten und unterstützen, wurde ihre Kleidung zum Symbol für die Jakobiter und die gewaltvollen Aufstände und Konflikte mit der britischen Armee in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, Jacobite Risings genannt. Während Charles Edward Stuart, “Bonnie Prince Charlie” genannt, den die Jakobiter als rechtmäßigen König von England und Schottland verstanden, bei der Schlacht von Culloden (1746) tatsächlich im roten Tartan aufgetreten sein soll, hatte besonders roter Tartan meist eine Symbolfunktion inne: Die jakobitische Volksheldin Flora MacDonald wird kein Tartankleid besessen haben. Sie darin abzubilden war jedoch ein starkes, politisches Bild für die Bewegung.
Highland Dress und Tartan waren eindeutige Symbole für den Widerstand gegen die britische Regierung geworden. Deshalb wurde Highland Dress 1746 nach dem endgültigen Scheitern der Jacobite Risings durch die britische Regierung verboten, doch dieses Verbot galt nicht für alle. Adelige und alle Frauen waren ausgenommen und nutzten vor allem Tartan weiterhin als Symbol für ein unabhängiges Schottland und eine starke Gemeinschaft im Hochland, die sich der englischen Krone nicht vollends unterordnen wollte. Das Hochzeitskleid aus rotem Tartan der Isabella MacTavish Fraser von ca. 1784 ist ein erhaltenes Beispiel für diese neue Bedeutung von Highland Dress und Tartan als Ausdruck von schottischem Nationalstolz.

Auch schottische Soldaten innerhalb der britischen Armee waren vom Highland-Dress-Verbot ausgenommen. Tatsächlich trugen Soldaten der sogenannten Highland Regiments den Kilt, der sich um 1720 aus dem Belted Plaid entwickelt hatte. Diese neue Assoziation mit der britischen Armee verzerrte das einstige Symbol für den Widerstand gegen eben diese Armee und die Krone und Regierung innerhalb weniger Jahre in ein Symbol für die Macht ebenjener. Das Verbot sollte die politische Macht der Highland Clans zerstören und die Bevölkerung des Hochlands zwingen, sich an die vereint-britische Gesellschaft - nach englischem Vorbild - anzupassen. Als das Verbot 1782 aufgehoben wurde, hatte ein großer Teil der ruralen Bevölkerung der Highlands, für die Highland Dress für Jahrhunderte ein gemeinschaftsstärkender “folk dress” gewesen war, den Highland Dress vollständig aufgegeben.
Für den schottischen Adel hingegen, der auch während des Verbots das Privileg innehatte, Highland Dress zu tragen, besaßen Arisaid, Plaid und Kilt weiterhin einen patriotischen Charakter, doch dieser hatte kaum mehr politische Macht und stand nicht mehr für eine Bewegung, die der britischen Regierung hätte gefährlich werden können, sondern diente nun viel mehr als Prestigeobjekt des schottischen Adels. Hier beginnt der Weg des Tartan und des Highland Dress in die britische Mainstream-Mode als Ausdruck eines gesamt-britischen Nationalstolzes, der von schottischer Unabhängigkeit und jakobitischen Idealen nun vollkommen losgelöst war. “Hybrid”-Anzüge aus Tartanstoff, geschnitten nach der neusten englischen und kontinental europäischen Mode, aber mit Kilt getragen, werden zum Statussymbol.
Im Verlauf der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelten sich auf dieser Basis die “Clan Tartans”: Die Zuordnung bestimmter Tartanstoffe und -farben zu einzelnen schottischen Clans. Um 1800 wurden schottischer Patriotismus und schottische Traditionen durch die Linse der Romantik bereits als urig, vielleicht sogar etwas drollig und als völlig unpolitische, pittoreske Folklore betrachtet, die erhalten werden musste. Auch der zunehmende britische und kontinentaleuropäische Tourismus in die schottischen Highlands spielte eine Rolle, denn das Vermarkten vermeintlicher Highland-Traditionen und Clan-Tartans wurde bald zur willkommenen Einnahmequelle für britische Webereien. Die Zeiten von Tartanherstellung in Heimarbeit und Tartan als “folk dress” und Symbol für ein Auflehnen gegen die britische Regierung waren nun endgültig vorbei.
1800 - 1900: Tartan, Plaid und die Mainstream-Mode

Im Verlauf der Romantik, die generell einen romantisierten Blick auf Geschichte, rurale Landschaften und Folklore warf, kam es zu Beginn des 19. Jahrhunderts vor allem in Großbritannien zum sogenannten “Highland Revival”: Ein großes Interesse an romantisch verklärter schottischer Tradition und Geschichte griff um sich und wirkte sich, wie sollte es anders sein, auch auf die Mode aus. War Tartan zuvor ein politisch aufgeladenes Symbol, dessen Auftauchen in Porträts und Texten aus dem früheren 18. Jahrhundert einen Hinweis auf jakobitische Ideale gab, ist er bereits um 1810 eine modische Erscheinung und gibt kaum noch Auskunft über die politische Gesinnung der abgebildeten Person. In den schottischen Highlands sind Kilt, modische Anzüge in Tartan-Optik oder Arisaid und Plaid mittlerweile ein emotional aufgeladener Ausdruck von Clan- und Familienzugehörigkeit.
Das “Highland Revival” geht jedoch auch mit einem bis heute kontrovers diskutierten Revisionismus der schottischen Geschichte einher: Weg von jakobitischen Idealen und blutigen Schlachten und Aufständen, hin zu romantisch-verklärten Legenden über die Highlands, ihre Bewohner*innen und ihre Kleidung. Um 1800 wird Geschichte vor allem in Clubs und Gesellschaften zur Erhaltung vermeintlicher uralter Highland-Traditionen neu geschrieben und erhält eine völlig neue Bedeutung. Auch romantische Literatur, vor allem die Romane von Sir Walter Scott aus den 1810er Jahren, befeuerten diese neue Wahrnehmung von schottischer Geschichte und von Schottland selbst, sowie die Erfolge der Highland Regiments (im Kilt) während der Napoleonischen Kriege. Nach dem Schottlandbesuch von König George IV., der selbst in Kilt und Tartan auftrat, im Jahr 1822 explodierte der Tartantrend in der Mainstream-Mode förmlich.

Vor allem im britischen Raum wuchs das Interesse an Schottland und der Kleidung der Highlands über die nächsten beiden Jahrzehnte nur noch an und beeinflusste auch die noch junge Königin Victoria, die seit 1842 immer wieder lange Perioden mit ihrem Ehemann Prinz Albert in Schottland verbrachte. 1852 erwarben sie das Schloss Balmoral im schottischen Aberdeenshire. Victoria selbst trug viel Tartan als Ausdruck ihrer Begeisterung und ließ auch ihre Kinder in Highland Dress einkleiden und porträtieren. Die junge Königin galt als Trendsetterin und während ihr Hang zu Tartan und Plaid den Trend keinesfalls auslöste, befeuerte er ihn natürlich und zementierte Tartan und Plaid ab ungefähr 1850 endgültig als beliebten Evergreen der britischen Mainstreammode, ausgehend von London.
Im Verlauf des 19. Jahrhunderts entwickelten sich Plaid und Tartan zum “Basic”, das sich nicht nur in Großbritannien großer Beliebtheit erfreute, sondern sich auch auf dem Kontinent und vor allem in Nordamerika immer mehr etablierte. Plaid-Muster ohne jegliche Verbindung zu schottischer Geschichte und Highland Dress zierten bereits um 1900 auch Designerkleider aus Paris und erlebten in der Mitte des 20. Jahrhunderts ein “Revival”, vor allem als Hosen- und Rockmuster, aber auch auf Mänteln, Schals und anderen Kleidungsstücken. Heute sind Plaid und Tartan aus der Modewelt nicht mehr wegzudenken, ob als modischer Wintermantel, elegantes Kostüm oder in Verbindung mit der Punkszene, die in den 1970er Jahren den rebellischen Charakter des Tartan ein Stück weit wieder aufleben ließ.
Exkurs: “Balmorality” und Schottland als Ästhetik

Während Highland Dress um 1800 seinen politischen Charakter als Symbol für den Widerstand gegen England längst verloren hatte, darf die politische Komponente der Romantisierung und Verklärung der schottischen Highlands und spezifisch der Geschichte der Jacobite Risings, “Bonnie Prince Charlie” und der Highland Clans nicht unerwähnt bleiben. Denn während in Schottland nach dem aufwühlenden 18. Jahrhundert eine neue nationale Identität als Teil von Großbritannien im industriellen Zeitalter gesucht wurde, wozu auch die Vermarktung von Tartan als exklusive, schottische Ware gehörte, war Schottland besonders für den englischen Adel zum märchenhaften Eskapismus geworden. Rurale Traditionen und Folklore, die meisten davon um 1850 noch jung, konnten beim Besuch auf dem eigenen Landsitz in Schottland nach Belieben übergezogen und wieder abgelegt werden.
Es muss unterstrichen werden, dass das rurale Schottland im 19. Jahrhundert viele schwere Krisen durchlebte, während der britische Adel Dudelsäcken lauschte und sich bei Highland Games amüsierte. So löste die Kartoffelmissernte der 1840er Jahre auch in den Highlands Lebensmittelmangel und Hungersnöte aus. Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts ist zudem von den Highland Clearances geprägt: Die Vertreibung der Einwohner*innen der Highlands aus ihrer Heimat, um Platz für neue Industrie, vor allem für die Schafzucht, zu schaffen. Während die Menschen also, oft mit Gewalt, von ihrer Heimat im Hochland und ihren Traditionen getrennt wurden, was unter anderem zu Auswanderungswellen in Richtung Nordamerika führte, wurden ihre Lebensweise und ihre Kleidung zum romantischen Eskapismus für genau die Menschen, die von ihrer Vertreibung profitierten.
In seinem Essay “Scotland in Quest of Her Youth” von 1932 bezeichnete der schottische Autor und Politiker George Scott-Moncrieff dieses oberflächliche Romantisieren von schottischer Kultur und Geschichte als “Balmorality”. Während sich vor allem Tartan als modischer Trend in Europa und Nordamerika ausbreitete und britische Adelige Schottland und seine Geschichte zum Trend machten, verlor Tartan ironischerweise seinen Charakter als traditionsträchtiger “folk dress” der Menschen des schottischen Hochlands vollständig. Industriell hergestellt wurde er nun als “typisch britisch” in die ganze Welt exportiert. Besonders in Form der bis heute beliebten Highlander Romances, Filmen wie “Braveheart” (1995) und Serien wie “Outlander” (2014-) hallt der Impakt der “Balmorality” bis heute nach. Und natürlich in unseren Schals und Herbstmänteln mit Plaid- und Tartanmuster.
Ich hoffe, dieser Einblick in die Geschichte des Mode-Basics Plaid hat dir gefallen. In diesem Text stecken viel Zeit, Mühe und vor allem Recherche. Falls er dir bei deinen eigenen Recherchen weitergeholfen hat, würde mir eine Nennung als Quelle sehr weiterhelfen.
Quellen:
Armstrong, Fiona K.: Highlandism, its Value to Scotland And How a Queen and Two Aristocratic Women Promoted the Phenomenon in the Victorian Age. 2017.
Cheape, Hugh: Tartan. The Highland Habit. 2006.
MacDonald, Peter Eslea: A 1745 Era Highland Suit. 2022.
Nicholson, Robin: From Ramsay's Flora MacDonald to Raeburn's MacNab. The Use of Tartan as a Symbol of Identity. In: Textile History, vol. 36. 2005. S. 146 - 167.
Waine, Rosie: Highland Style. Fashioning Highland Dress ca. 1745 - 1845. 2022.
American Duchess: Recreating the Isabella MacTavish Fraser Scottish Tartan Wedding Dress. 22.11.2019. (Youtube)
Eine großartige Ressource zum Thema ist zudem der Blog “Plaid Petticoats”